EuGH, Urteil vom 20. Dezember 2017 – C 504/16 und C-613/16
Das Finanzgericht Köln hat in zwei Klagen gegen das Bundeszentralamt für Steuern, in denen ausländische Holdinggesellschaften nach § 50d Abs. 3 EStG die Erstattung von inländischer Kapitalertragsteuer verlangt hatten, den EuGH um Vorabentscheidung ersucht. Das FG Köln stellte jeweils die Frage, ob die europäische Niederlassungsfreiheit bzw. die Mutter-Tochterrichtlinie der Vorschrift des § 50d Abs. 3 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2007 entgegenstehe, wonach einer ausländischen Muttergesellschaft Entlastung von der Kapitalertragsteuer nur unter bestimmten Voraussetzungen gewährt wird.
Der EuGH hat die zwei Vorlagefälle des Finanzgerichts Kölns verbunden. Im ersten Verfahren beantragte die Deister Holding AG (vormals Traxx Investments NV) beim Bundeszentralamt für Steuern die Freistellung der Gewinnausschüttung der deutschen Tochtergesellschaft von Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag. Im zweiten Verfahren verlangte die Juhler Holding A/S, eine dänische Holdinggesellschaft, die Befreiung ihrer deutschen Tochtergesellschaften vom Quellensteuerabzug auf eine Gewinnausschüttung. Die Traxx hatte ihren Sitz in den Niederlanden und ihre Tätigkeit als Holding bestand hauptsächlich darin, Beteiligungen an mehreren, in verschiedenen Staaten niedergelassenen Gesellschaften zu halten und deren Finanzierung unter anderem durch Konzerndarlehen sicherzustellen. Die Traxx war seit 2005 mit mind. 26,5 Prozent an der Deister Electronic GmbH beteiligt. Die Traxx hatte in den Niederlanden ein angemietetes Büro und beschäftigte dort in den Jahren 2007 und 2008 zwei Mitarbeiter. Alleiniger Anteilsinhaber von Traxx war Herr Stobbe mit Wohnsitz in Deutschland. Die Juhler Holding A/S war eine in Dänemark ansässige Holdinggesellschaft, an der zu 100 Prozent eine zypriotische Gesellschaft beteiligt war, deren alleiniger Anteilseigner eine in Singapur ansässige natürliche Person war. Die Juhler Holding hielt Beteiligungen an mehr als 25 Tochtergesellschaften, von denen einige ebenfalls in Dänemark ansässig waren. Die Juhler Holding, die auch Immobilien hält, verfügt über keine eigenen Büroräume und greift bei Bedarf auf Räumlichkeiten, Einrichtungen und Personal anderer Konzerngesellschaften zurück. Der Geschäftsführer der Juhler Holding ist auch Vorstand in verschiedenen Gesellschaften des Konzerns. Sowohl die Traxx als auch die Juhler Holding beantragten beim Bundeszentralamt für Steuern Erstattung von Quellensteuern, die von Gewinnausschüttungen der deutschen Tochtergesellschaften einbehalten worden waren. Die Steuerbehörde lehnte den Antrag nach § 50d Abs. 3 EStG ab. Beide Gesellschaften erhoben Klage beim Finanzgericht Köln. Sie machten im Ausgangsverfahren jeweils die Unvereinbarkeit von § 50d Abs. 3 EStG mit der Niederlassungsfreiheit sowie mit der Mutter-Tochterrichtlinie geltend.
Der EuGH entschied, dass die Vorschrift nach § 50d Abs. 3 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2007 sowohl gegen die Mutter-Tochterrichtlinie als auch gegen die europäische Niederlassungsfreiheit verstößt. Nach § 50d Abs. 3 EStG – in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2007 – hat eine ausländische Gesellschaft keinen Anspruch auf völlige oder teilweise Quellensteuererstattung, soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustünde, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten und, (i) für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen oder (ii) die ausländische Gesellschaft nicht mehr als 10 Prozent ihrer gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt oder (iii) die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt. An den Voraussetzungen nach § 50d Abs. 3 EStG fehlte es hier unstreitig, sodass die nationale Vorschrift der Erstattung der Quellensteuer entgegenstand. Der EuGH führte aus, dass nach der Mutter-Tochterrichtlinie sichergestellt werden soll, dass grenzüberschreitende Gewinnausschüttungen gegenüber inländischen Gewinnausschüttungen nicht benachteiligt werden, soweit eine Beteiligung von mindestens zehn Prozent besteht. Die Mutter-Tochterrichtlinie sieht eine Ausnahme nur vor, indem sie den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit einräumt, einzelstaatliche Bestimmungen zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen oder Missbräuchen anzuwenden. Hierzu stellte der EuGH jedoch fest, dass die streitige Vorschrift des § 50d Abs. 3 EStG nicht speziell bezwecke, die Inanspruchnahme eines Steuervorteils durch rein künstliche Konstruktionen auszuschließen. Vielmehr erfasse die Vorschrift generell jede Situation, in der Beteiligungen von Personen bestehen, denen im Falle unmittelbarer Beteiligung keine Befreiung zustünde. Der Umstand, dass diese Personen Beteiligungen halten, bedeutet jedoch nicht allein, dass es sich um eine rein künstliche oder an jeder wirtschaftlichen Realität fehlende Konstruktion handelt. Zudem wird in der Ausgangsvorschrift nicht konkret auf einen Missbrauch hingewiesen. Vielmehr begründet die Vorschrift eine unwiderlegbare Missbrauchs- oder Hinterziehungsvermutung, die den jeweiligen Einzelfall unberücksichtigt lässt. Zudem begründen die Voraussetzungen nach § 50d Abs. 3 EStG nach Auffassung des EuGH weder einzeln noch zusammen betrachtet einen Missbrauch oder Fälle von Steuerhinterziehung. Zudem stellte der EuGH fest, dass § 50d Abs. 3 EStG gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt. Diese war im vorliegenden Fall einschlägig, da die Holdinggesellschaften Einfluss auf die nationalen Tochtergesellschaften ausgeübt haben. Im Falle der alleinigen Absicht der Geldanlage wäre im Übrigen die Kapitalverkehrsfreiheit einschlägig gewesen. Einschränkungen der Niederlassungsfreiheit sind mit dem Ziel der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -umgehung möglich. Nach den bereits für die Mutter-Tochterrichtlinie geltenden Erwägungen stellte die Vorschrift nach § 50d Abs. 3 EStG jedoch keine Missbrauchsvorschrift dar. Deshalb kann diese Vorschrift nicht die im vorliegenden Fall bestehenden Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen.
Die Vorschrift des § 50d Abs. 3 EStG soll nach dem Willen des Gesetzgebers verhindern, dass Befreiungen oder Ermäßigungen von der Kapitalertragsteuer oder von Quellensteuern nach § 50a EStG nur durch die Zwischenschaltung ausländischer Gesellschaften ermöglicht werden. Die ursprüngliche Fassung von § 50d Abs. 3 EStG aus dem Jahr 2007 hatte die EU-Kommission beanstandet und den deutschen Gesetzgeber förmlich zur Änderung aufgefordert. Die Rechtswidrigkeit dieser Regelung hat der EuGH jetzt definitiv festgestellt. Die daraufhin ab dem Jahr 2012 geltende Fassung von § 50d Abs. 3 EStG ist ebenfalls Gegenstand eines Vorlageverfahrens, da das FG Köln auch die geänderte Fassung dem EuGH vorgelegt hat. Nach den Kriterien des EuGH sieht es auch für die angepasste und jetzt geltende Fassung nicht gut aus und das FG Köln hat Zweifel an der Rechtmäßigkeit. Man darf gespannt sein, wie hier der EuGH entscheiden wird (anhängig unter C-440/17). Für die Praxis ist das Urteil unmittelbar für alle Personen interessant, die beim Bundeszentralamt für Steuern die Erstattung bzw. die Befreiung von Kapitalertragsteuer beantragen oder in der Vergangenheit beantragt haben. Der EuGH hat für Erstattungsanträge bis einschließlich 2011 die Rechtswidrigkeit festgestellt. Für Anträge nach der geltenden Fassung ab 2012 steht die Entscheidung noch an. Hier ist allen Antragstellern zu empfehlen, die Fälle offen zu halten. Insgesamt bringt das Urteil für die ausländischen Gesellschafter Erleichterung und Rechtssicherheit. Das EuGH-Urteil ist deshalb zu begrüßen und stellt eine Stärkung der europäischen Integration und der Verwirklichung des Binnenmarktes dar. Wenn Sie Fragen zu diesem Thema haben, wenden Sie sich bitte an Herrn Dr. Michael Hils.