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    04.01.2016

    Vergaberechtsreform – die Verordnungen


    Nun geht es also in die zweite Runde der umfassenden Reform. Am 9. November 2015 hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) den Entwurf einer Mantelverordnung zur Abstimmung an die beteiligten Bundesministerien gegeben. Art. 1 enthält die neu gefasste Vergabeverordnung (VgV), Art. 2 die Neufassung der Sektorenverordnung (SektVO), Art. 3 die neu hinzutretende Konzessionsvergabeverordnung (KonzVgV), Art. 4 eine neue Vergabestatistikverordnung (VergStatVO), Art. 5 Anpassungen der Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit (VSVgV) sowie Art. 6 die Folgeänderungen für andere Rechtsvorschriften. Art. 7 regelt sodann das Inkrafttreten aller Verordnungen – mit Ausnahme der VergStatVO – zum 18. April 2016. Die Verabschiedung der Mantelverordnung durch das Bundeskabinett war bisher für den Januar, die dann noch erforderliche Zustimmung des Bundesrates für März 2016 geplant. Nachdem die Beschlussfassung des Bundestags über den GWB-Entwurf (GWB-E) und die Beratung durch den Bundesrat Mitte Dezember erfolgte, dürfte diese Zeitplanung realistisch sein.   Das ist aber noch nicht die letzte Etappe der Reform. Denn für den Unterbau des GWB-E fehlt noch der zu überarbeitende Abschnitt 2 der VOB/A, künftig VOB/A-EU. Vorgesehen ist dafür nicht eine komplette Neufassung, sondern eine Anpassung der geltenden VOB/A-EG im notwendigen Umfang. Die aus Sicht der VOB Tradition gravierendste Änderung wird dabei die Umwandlung des Eröffnungstermins (jetzt § 14 VOB/A-EG) in einen Öffnungstermin sein. Die Bieter werden danach vom Termin ausgeschlossen sein, werden aber über das Ergebnis der Angebotseröffnung unterrichtet. Der Entwurf für die VOB/A-EU wird zurzeit vom DVA erarbeitet und soll im Laufe des Januars im Bundesanzeiger veröffentlicht werden. Anschließend muss dem noch der Bundesrat zustimmen. Was sodann immer noch fehlt, ist die Überarbeitung oder Neufassung der VOL/A und der VOB/A Abschnitt 1 für Vergaben unterhalb der EU Schwellenwerte. Das ist – für die Praxis bedauerlich – erst für den Zeitraum nach Inkrafttreten der Reform im April 2016 vorgesehen.   Als Fazit lässt sich schon jetzt sagen, dass mit dem GWB-E und seinem neuen Unterbau ein Umbruch stattfinden wird, wie es ihn seit dem Vergaberechtsänderungsgesetz von 1998 nicht gegeben hat. Insbesondere wird die bisher strikte Trennung zwischen dem Rechtsrahmen (GWB) und den anwendungsbezogenen Regelungen aufgegeben. Das zeigt sich zum einen in der Vielzahl von Verweisen auf Vorschriften des GWB-E in den Verordnungsentwürfen. Es zeigt sich zum anderen darin, dass Einzelheiten zu praxisrelevanten Themen allein oder im Wesentlichen nur noch im GWB-E zu finden sind (Beispiele: Inhouse-Vergaben, § 108 GWB-E, Kündigung von Aufträgen, § 133 GWB-E) sowie schließlich auch im fallweisen Splitting, d. h. der Behandlung von Themen sowohl im GWB-E wie auch in den Verordnungen (Beispiele: Ausschluss vom Vergabeverfahren: §§ 123, 124 GWB-E, § 42 VgV-E, § 24 KonzVgV; Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit: § 132 GWB-E, § 39 Abs. 5 VgV-E, § 38 Abs. 5 SektVO-E, § 20 Abs. 2 KonzVgV-E; Selbstreinigung: § 125 GWB-E, § 42 Abs.1 VgV-E). Die Praxis steht damit vor einer großen Herausforderung und der Druck auf eine Professionalisierung der Vergabe, z. B. durch Bündelung des Sachverstands in zentralen Vergabestellen, wird weiter zunehmen.   Auch wenn als Ergebnis der jetzt laufenden Ressortabstimmung sowie der Beratung der Mantelverordnung im Bundesrat noch Änderungen zu erwarten sind, lassen sich zumindest schon einige bereits feststehenden Einzelheiten nennen:  

     

    • Festzustellen ist eine erhebliche Zunahme des Vorschriftenvolumens: die VgV-E umfasst 82 Paragraphen und 3 Anhänge (bisher enthielten VgV, VOL/A-EG und VOF zusammen 54 Vorschriften), zur SektVO-E gehören 64 Paragraphen (bisher 34) und die KonzVgV-E kommt mit 34 Paragraphen hinzu.

     

     

     

    • Wie im GWB-E vorgezeichnet, folgen auch VgV-E, SektVO-E und KonzVgV in ihrem Aufbau dem Ablauf des Vergabeverfahrens. Im Anschluss an die allgemeinen Bestimmungen folgen jeweils Abschnitte über die Vorbereitung des Vergabeverfahrens, zur Veröffentlichung und Transparenz, über Eignungs­anforderungen, zur Prüfung und Wertung der Angebote sowie über Zuschlag und Aufhebung von Vergabeverfahren.

     

     

     

    • Konzeptionell neu ist die Beschränkung der VgV-E auf Liefer- und Dienstleistungsvergaben. Für Bauaufträge ist in § 2 VgV-E neben der Rechtsverbindlichkeit der VOB/A-EU allerdings auch die Anwendung der allgemeinen Bestimmungen über Schätzung der Auftragswerte, Interessenkonflikte, Dokumentation u. ä. (§§ 3-8 VgV-E) sowie über die besonderen Ver­gabeinstrumente wie Rahmenvereinbarungen, dynamische Beschaffungssysteme u. ä. geregelt (§§ 21-27 VgV-E). Wenig glücklich ist, dass damit bei EU-Bauvergaben zukünftig drei Regelwerke zu beachten sein werden: GWB, Teile der VgV-E und die neue VOB/A-EU.

     

     

     

    • Den Besonderheiten freiberuflicher Leistungen (bisher VOF) trägt die VgV-E durch Vorschriften für Planungswettbewerbe (§§ 69-72) sowie über die Vergabe von Architekten und Ingenieurleistungen (§§ 73 -80) Rechnung. Vorschriften über Planungswettbewerbe enthält auch die SektVO-E (§§ 60-63; bisher § 11 SektVO). Das nach der VOF verbindliche Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb (§ 3 Abs. 1 VOF) ist jetzt nicht mehr die einzige in Betracht kommende Vergabeart (§ 74 VgV-E).

     

     

     

    • Wesentlich für die Wahl der Vergabeverfahren ist die Gleichstellung von offenem und nicht offenem Verfahren mit Teilnahmewettbewerb (§ 14 Abs. 2 VgV-E, s. auch § 119 Abs. 2 GWB-E) sowie die Gleichstellung von Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb und wettbewerblichem Dialog (§ 14 Abs. 3 VgV-E). Voraussetzung für das Verhandlungsverfahren ist allerdings, dass nach dem Teilnahmewettbewerb Angebote als Grundlage für die Verhandlungen vorliegen, wogegen für den wettbewerblichen Dialog eine Beschreibung der Bedürfnisse und Anforderungen des öffentlichen Auftraggebers an die zu beschaffende Leistung reicht; das Vorliegen eines besonders komplexen Auftrags (s. § 101 Abs. 4 GWB) ist nicht mehr erforderlich (§18 Abs. 1 VgV-E, § 17 Abs. 1 SektVO-E). Zur neuen Verfahrensart der Innovationspartnerschaft (§ 119 Abs. 7 GWB-E) ist Näheres in § 19 VgV-E und § 18 SektVO-E geregelt.

     

     

     

    • Zu Irritationen könnte die Regelung über die Wahl der Verfahrensart für die Vergabe sozialer und anderer besonderer Dienstleistungen führen. So ist in § 65 Abs. 1 VgV-E nur die freie Wahl zwischen Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb und wettbewerblichem Dialog vorgesehen. Zum richtigen Ergebnis führt, dass es sich um eine von § 14 Abs. 3 VgV-E abweichende Sonderregelung handelt, die lediglich die Wahlfreiheit nach § 14 Abs. 2 VgV-E erweitert. Dies steht auch im Einklang mit § 130 Abs. 1 GWB-E. Es kann somit auch hier das offene und das nicht offene Verfahren gewählt werden.

     

     

     

    • Während für Rahmenvereinbarungen (§ 103 Abs. 5 GWB-E) nur jeweils eine einzige Ausführungsregelung vorgesehen ist (§ 21 VgV-E und § 19 SektVO-E), sind dynamische Beschaffungssysteme (§§ 22-24 VgV-E, §§ 20-22 SektVO-E) sowie elektronische Auktionen (§§ 25 und 26 VgV-E, §§ 23 und 24 SektVO-E) eingehender geregelt.

     

     

     

    • Für Inhouse-Vergaben und interkommunale Kooperationen bleibt es bei der Regelung in § 108 GWB-E, die Verordnungs-Entwürfe enthalten dazu keine weiteren Bestimmungen. Allerdings bietet die Verordnungsermächtigung in § 113 GWB-E auch keinen Raum für insoweit ergänzende Regelungen in den Verordnungen. Hervorzuheben ist, dass nach § 108 GWB-E abweichend von der Rechtsprechung für das Vorliegen einer interkommunalen Kooperation ein Vertrag genügt, nach dem eine der beteiligten Kommunen die Leistung erbringt und die andere dafür zahlt.

     

     

     

    • Die Möglichkeit, strategische Forderungen (soziale, umweltbezogene oder innovative Aspekte) in den Vergabeprozess einzubringen, bietet sich über die technischen Spezifikationen in der Leistungsbeschreibung (Anhang 1 Nr. 1 VgV-E) sowie über die Zuschlagskriterien (§ 58 Abs. 2 VgV-E, § 52 Abs. 2 SektVO-E) und die Ausführungsbedingungen (§ 128 Abs. 2 GWB-E i. V. m. § 61 VgV-E). Ein „sachlicher Zusammenhang“ mit dem Auftragsgegenstand, wie bisher in § 97 Abs. 4 GWB geregelt, ist dabei nicht mehr erforderlich. Es genügt, dass die Forderungen mit dem Auftragsgegenstand „in Verbindung stehen“ (§§ 127 Abs. 3, 128 Abs. 2 GWB-E). Dies bedeutet eine erhebliche Erweiterung des Spielraums für strategische Forderungen, wie sich deutlich auch daraus ergibt, dass als technische Spezifikationen u. a. auch Vorgaben für „Produk­tionsprozesse und -methoden in jeder Phase des Lebenszyklus der Lieferung oder Dienstleistung“ zulässig sind (Anhang 1 Nr. 1 VgV-E). Ausgeschlossen sind danach im Wesentlichen nur noch unternehmenspolitische ForderungenDie in den Bekanntmachungsvorschriften (§§ 37 ff. VgV-E, 35 ff. SektVO-E, 18 ff. KonzVgV-E) vielfach in Bezug genommene Durchführungsverordnung der Kommission zur Einführung von Standardformularen für die Veröffentlichung von Vergabebekanntmachungen – darauf sei hier der Vollständigkeit halber hingewiesen – liegt inzwischen in der Fassung vom 11. November 2015 vor (ABl. EU Nr. L 296 vom 12.11.2015, S. 1 ff.).

     

     

     

    • Eignungsnachweise können durch Eigenerklärung, Angaben, Bescheinigungen unabhängiger Dritter oder sonstige Nachweise (§ 48 Abs. 2 VgV-E), durch Präqualifizierung (§ 48 Abs. 8 VgV-E, § 48 SektVO-E) oder durch Vorlage einer Einheit­lichen Europäischen Eigenerklärung (EEE, § 48 Abs. 3 i. V. m. § 50 VgV-E) erbracht werden. Die EEE ist danach, was lange streitig war, weder zwingend noch vorrangig vorgeschrieben, sondern bildet nur eine den Bewerbern und Bietern zur Wahl stehende (und vom Auftraggeber dann zu akzeptierende) Nachweismöglichkeit.

     

     

     

    • Für das Zuschlagskriterium „Kosten“ kann der Auftraggeber nun vorgeben, dass die Berechnung auf Basis der Lebens­zykluskosten erfolgt. Mögliche Berechnungsmethoden sind dazu in den Vorschriften angegeben (§ 59 VgV-E, § 53 SektVO.

     

     

     

    • Die eVergabe (§ 97 Abs. 5 GWB-E) ist in den §§ 9-13 VgV-E, §§ 9-12 SektVO-E sowie §§ 7-11 und 26 KonzVgV eingehender geregelt. Auch diese Vorschriften treten grundsätzlich zum 18. April 2016 in Kraft. Berücksichtigt sind aber auch die unterschiedlichen Umsetzungsfristen, die die EU-Richtlinien ermöglichen (§ 81 Abs. 2 VgV-E, § 64 Abs. 2 SektVO-E, § 32 KonzVgV). Einzelheiten der zu verwendenden elektronischen Mittel sowie der einzuhaltenden technischen Standards sollen sich aus noch zu erlassenden Allgemeinen Verwaltungsvorschriften der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates ergeben. Vorgesehen ist das aber nur in der VgV-E (§ 13) und der KonzVgV-E (§ 11). Für Sektorenauftraggeber soll gelten, dass es in ihrer Verantwortung liegt, die geeigneten elektro­nischen Mittel mit dem erforderlichen Sicherheitsniveau auszuwählen und einzusetzen (§ 10 SektVO-E).

     

      Bis auf die noch nicht vorliegende neue VOB/A-EU steht mit der Mantelverordnung nunmehr das per Mitte April dieses Jahres geltende neue Vorschriftensystem für Vergaben ab den EU-Schwellenwerten fest. Es kommt allen, die für ein eigenständiges Vergabegesetz eintreten, zumindest auf halbem Wege entgegen. Denn anders als der bisher im Wesentlichen auf den Bieterrechtsschutz ausgerichtete Vierte Teil des GWB liegt mit den §§ 97 ff. GWB-E jetzt eine umfassende vergaberechtliche Regelung vor, die genauso gut – was in Zukunft vielleicht auch geschehen wird – aus dem GWB ausgegliedert werden und ohne wesentliche Änderungen ein eigenes Gesetz bilden könnte.   Beim Strukturprinzip der Kaskade ist es mit dieser Reform geblieben, wobei sich darüber streiten ließe, ob eine Vereinfachung durch Reduzierung auf zwei Stufen erfolgt ist (Stufe 1: GWB, Stufe 2: Verordnungen bzw. VOB/A-EU) oder wegen der viel­fachen Verweise auf noch anderweit zu beachtende Vorschriften (siehe z. B. §§ 10 Abs.2, 13, 23 Abs. 2, 37 Abs. 2, 39 Abs. 2, 66 Abs. 2-4 sowie 70 Abs.1 und 3 VgV-E) nach wie vor eine dreistufige Kaskade besteht. Als wesentliche Erleichterung ist aber sicherlich die klare Gliederung der Vorschriften nach dem Ablauf des Vergabeverfahrens anzusehen, die eine anwenderfreundlichere Auffindbarkeit der Regelungen ermöglicht. Das Ziel einer grundlegenden Vereinfachung der komplexen Materie bleibt allerdings nach wie vor eine hehre Zukunftsperspektive, zu der nicht zuletzt auch die Beseitigung der Zersplitterung durch Landesvergabegesetze gehört.   Bitte wenden Sie sich an: Timm R. Meyer