BFH, Urteil vom 11. Juli 2017, IX R 36/15, DStR 2017, S. 2098
Kosten für eigenkapitalersetzende Finanzierungshilfen wie ausgefallene Darlehen oder Bürgschaften mit ausgefallenem Regressanspruch konnten bislang als nachträgliche Anschaffungskosten des Gesellschafters von der Beteiligung nach § 17 EStG steuerlich abgezogen werden. Dies spielte regelmäßig im Fall der Insolvenz einer Kapitalgesellschaft, insbesondere einer GmbH, eine Rolle. Voraussetzung für den Steuerabzug war, dass die Finanzierung als eigenkapitalersetzend zu qualifizieren war. Dies bemaß sich nach zivil- bzw. gesellschaftsrechtlichen Kriterien. Mit dem Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 23. Oktober 2008 (MoMiG) hat der Gesetzgeber das Eigenkapitalersatzrecht allerdings aufgehoben und durch insolvenzrechtliche Regeln ersetzt. Steuerlich führte die Finanzverwaltung die bisherigen Regelungen fort. Im Schrifttum war heftig umstritten, ob die bisherige Praxis weiter gelten konnte. Mit Spannung war deshalb eine Entscheidung des BFH erwartet worden.
Im entschiedenen Fall war der Vater des Klägers alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH. Im Jahr 2006 verbürgte sich der Kläger gegenüber der Bank, die der GmbH ein Darlehen gegeben hatte. Im Februar 2010 wurden dem Kläger die Anteile an der GmbH im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragen. Nachdem im Jahr 2011 ein Verkauf der GmbH-Anteile an einen Dritten gescheitert war und dieser in unmittelbarer Nähe einen eigenen Betrieb eröffnete, beantragte der Kläger die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die das Amtsgericht im Mai 2011 mangels Masse ablehnte. Noch im Jahr 2011 leistete der Kläger aufgrund der bestehenden Bürgschaften Zahlungen an die Bank. In der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2011 machte der Kläger einen Auflösungsverlust sowie nachträgliche Anschaffungskosten aus der Inanspruchnahme aus der Bürgschaft geltend. Das Finanzamt lehnte dies ab, da sich die GmbH bei Bürgschaftsübernahme nicht in der Krise befunden habe. Das Finanzgericht gab der Klage statt. Der Revision des Finanzamts trat auf Verlangen des BFH das BMF bei. Dieses sprach sich dafür aus, die bisher geltenden Grundsätze auch nach Aufhebung des Eigenkapitalersatzrechts fortzuführen.
Der BFH hat entschieden, dass mit der Aufhebung des Eigenkapitalersatzrechts die gesetzliche Grundlage für die bisherige Annahme nachträglicher Anschaffungskosten entfallen ist. Nachträgliche Anschaffungskosten seien nur noch nach Maßgabe der Begriffsdefinition in § 255 HGB anzuerkennen, die für das gesamte Einkommensteuerrecht gelte. Im konkreten Fall wies der BFH die Revision wegen Vertrauensschutzes zurück. Im Ergebnis stellte er fest, dass das Finanzgericht die Bürgschaften zu Recht als in der Krise hingegeben und damit von Anfang an als eigenkapitalersetzend angesehen habe. Deshalb seien nachträglich Anschaffungskosten anzuerkennen. Der BFH setzt sich intensiv mit dem Meinungsbild zur Streitfrage auseinander, ob die bisherige Rechtsprechung zu eigenkapitalersetzenden Finanzierungshilfen nach Aufhebung des Eigenkapitalrechts durch das MoMiG im Jahr 2008 fortgelten könne. Der BFH stellt hierbei fest, dass Finanzierungshilfen grundsätzlich nicht als nachträgliche Anschaffungskosten im Sinne von § 255 Abs. 1 Satz 1 HGB angesehen werden können. Der handelsrechtliche Begriff der Anschaffungskosten sei jedoch mangels abweichender Definition im Einkommensteuergesetz zugrunde zu legen. Die Definition gewährleiste eine hinreichend rechtssichere und trennscharfe Abgrenzung zwischen Fremd- und Eigenkapital. Zudem sei zu berücksichtigen, dass § 17 EStG den Abzug von Werbungskosten oder Betriebsausgaben nicht vorsieht. Deshalb ermögliche der handelsrechtliche Begriff eine einheitliche Auslegung im gesamten Einkommensteuerrecht. Krisenbedingte Darlehensausfälle oder der Ausfall mit einer Bürgschaftsregressforderung führten deshalb nicht mehr zu Anschaffungskosten der Beteiligung. Der BFH stellt dann fest, dass es aus Gründen des Vertrauensschutzes geboten sei, die neuen Rechtsprechungsgrundsätze nur mit Wirkung für die Zukunft anzuwenden. Für den Vertrauensschutz sei auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem der Steuerpflichtige die für ihn endgültige wirtschaftliche Disposition getroffen habe. Dies war nach bisherigen Grundsätzen entweder der Zeitpunkt der Hingabe einer von vornherein eigenkapitalersetzenden Finanzierungshilfe oder des Stehenlassens einer Finanzierungshilfe bei Eintritt der Krise. Lag der jeweils maßgebliche Stichtag vor dem Tag der Veröffentlichung dieses Urteils, wird der Senat den Fall auch in Zukunft nach Maßgabe der bisher geltenden Rechtsprechungsgrundsätze beurteilen. Die Veröffentlichung des BFH-Urteils erfolgte am 27. September 2017.
Die Entscheidung des BFH hat große Auswirkungen auf die Finanzierung von Kapitalgesellschaften. Deshalb hat der BFH bereits angekündigt, die neue Rechtsprechung in einer Reihe anhängiger Verfahren zu konkretisieren. So könne sich eine gefestigte und geänderte Rechtsprechung entwickeln. Zum aktuellen Zeitpunkt ist nur klar, dass Finanzierungshilfen, die der Gesellschaft ab dem 27. September 2017 gewährt werden, im Falle einer Insolvenz nicht mehr als nachträgliche Anschaffungskosten geltend gemacht werden können. Bemerkenswert ist, dass erstmals ein Fachsenat des BFH aus Gründen des Vertrauensschutzes eine zeitliche Anwendungsregelung für ein Urteil getroffen hat. Bislang war dies lediglich bei Entscheidungen des Großen Senats oder bei steuerrechtlichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts – jüngst beispielsweise im Zusammenhang mit der Verfassungswidrigkeit der Erbschaftsteuer – der Fall. Als Folgefrage wird sich der BFH dann damit beschäftigen müssen, ob die nachträglichen Anschaffungskosten bzw. die Finanzierungshilfen möglicherweise als Werbungskosten bei den Veräußerungsgewinnen nach § 20 Abs. 2 EStG berücksichtigt werden können. Diese Frage fällt jedoch nicht in den Zuständigkeitsbereich des 9. Senats, der hier bislang entschieden hat. Mit Spannung bleibt also die weitere Entwicklung abzuwarten. Wenn Sie Fragen zu diesem Thema haben, wenden Sie sich bitte an Herrn Dr. Michael Hils.