Ein Gang an die Börse mittels IPO ist ein durch zahlreiche Gesetze, Verordnungen und sonstige Vorschriften hochregulierter Prozess. Die klassische Finanzierungs- oder Beteiligungsrunde, obgleich mittlerweile zu einem gewissen Grad standardisiert und bestimmten Gepflogenheiten folgend, erfordert dennoch zumeist die Hinzuziehung von Rechtsanwälten und ggf. anderen Experten, jedenfalls für bestimmte Spezialfragen. Beide Finanzierungsinstrumente verursachen mithin nicht unerhebliche Transaktionskosten.
Gerade für Start-ups, die in ihrem Geschäftsmodell bereits einen Bezug zu Software haben oder deren Produkt aus einer bestimmten Software besteht, verspricht ein sog. Initial Coin Offering (ICO), also der erstmalige Verkauf von Coins (synonym: Token) auf einem öffentlichen Markt, eine einfache, günstige und – in der Hoffnung vieler Unternehmen – sehr einträgliche Finanzierungsvariante zu sein. Da die erforderlichen Coins in der Regel auf der Blockchain-Technologie basieren, wurden ICOs zuerst und hauptsächlich von Unternehmen im Blockchain-Ecosystem durchgeführt, eine zwingende Voraussetzung ist das aber nicht.
Grundsätzlich stellen ICOs für ein Unternehmen (Emittent) eine Möglichkeit dar, durch den Verkauf von Coins gegen gängige Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ether und deren anschließenden Umtausch in staatliche Währungen die für die weitere Entwicklung eines Start-ups oder eines isolierten Projektes erforderlichen Eigenkapitalmittel einzunehmen.
Die ausgegebenen Coins sind mit bestimmten Rechten, Befugnissen und/oder Funktionalitäten ausgestattet, die es den Besitzern ermöglichen, beispielweise die Strategie des Emittenten durch Ausübung von Stimmrechten zu beeinflussen, einen etwaigen Gewinn des Emittenten durch Geltendmachung der auf den Coins hinterlegten Gewinnbezugsrechte zu beziehen oder die Dienstleistungen des Emittenten in gewissem Umfang durch Nutzung der auf den Coins hinterlegten Funktionalitäten in Anspruch zu nehmen. Denkbar und bereits vorgekommen ist es auch, dass die Käufer/Anleger lediglich auf eine Wertsteigerung der Coins spekulieren.
Die wichtigsten Vorteile sind:
Insbesondere die in Anbetracht des hohen Einnahmepotenzials sehr geringen Transaktionskosten machen diese Finanzierungsvariante wirtschaftlich sehr attraktiv. Dennoch sollte ein ICO nur nach einer gründlichen Potenzialanalyse sowie in technischer und rechtlicher Hinsicht sorgfältig strukturiert durchgeführt werden.
Die potenziellen Gefahren für Anleger liegen auf der Hand:
Diese Risiken sind allerdings sämtlich im Vorhinein bekannt oder sollten dies zumindest sein.
Die Strukturierung der Coins bestimmt, welche gesetzlichen Regelungen auf den ICO Anwendung finden:
Handelt es sich bei den ausgegebenen Coins um Finanzinstrumente, so wird in der Fachliteratur diskutiert, ob und inwieweit die Prospektrichtlinie, die Finanzmarktrichtlinie, die Richtlinie über die Verwalter alternativer Investmentfonds (AIFM-RiLi) sowie die Geldwäscherichtlinie einschließlich der jeweiligen Umsetzungsgesetze zu beachten sind. Derzeit ist ein sehr beliebter Sitz von Coin-Emittenten die Schweiz, namentlich der Kanton Zug, da die gesetzlichen Rahmenbedingungen für internationale Kapitalmaßnamen sehr liberal sind. Dort sind unter bestimmten Voraussetzungen das Bankgesetz und die einschlägigen aufsichtsrechtlichen Normen zu berücksichtigen.
In vertrags- und gesellschaftsrechtlicher Hinsicht ist die sog. Decentralized Autonomous Organization (DAO), eine Organisationsform die vermehrt als Coin-Emittentin auftritt, von besonderem Interesse. Die – bisher noch ungeklärte – Einordung dieser Organisation in vertrags- und/oder gesellschaftsrechtliche Kategorien entscheidet mit über die Rechte, die Anleger gegenüber einer DAO als Coin-Emittentin haben.
Schließlich gilt es bei der rechtlichen Planung eines ICOs die Frage nach dem zwischen dem Coin-Emittenten, den Anlegern und den Aufsichtsbehörden anwendbaren Recht in die Überlegungen einzubeziehen. Der Umstand, dass die Coins rein elektronisch und dezentral ausgegeben werden können, eröffnet diesbezüglich eine große Flexibilität. Gleichwohl ist nicht zu unterschätzen, dass die Wahl der Jurisdiktion, z. B. durch Begründung eines Gesellschaftssitzes in einem bestimmten Staat, Auswirkungen auf die Wahrnehmung des ICOs und/oder des dahinterstehenden Projektes bei den potenziellen Anlegern haben wird und deshalb nicht jedes „Schlupfloch“ hinsichtlich Steuerbelastung, Anforderungen an die Corporate Governance oder Compliance-Vorschriften genutzt werden sollte. Eine gute Reputation des Emittenten bzw. des Projektes ist immer noch eine wesentliche Voraussetzung eines gelungenen ICOs. Sie sollte nicht durch die Wahl einer Rechtsordnung von zweifelhaftem Ruf aufs Spiel gesetzt werden.
ICOs bieten eine wirtschaftlich interessante Alternative zu klassischen VC-Finanzierungen. Die funktionale Strukturierung der auszugebenden Coins beeinflusst den rechtlichen Rahmen. In jedem Fall bietet die rechtliche Strukturierung eines ICOs aber (noch) große Flexibilität.
Aus Investorensicht wird zu beobachten sein, ob VCs den „normalen“ Anlegern im Rahmen von ICOs gleichgestellt (bleiben) werden oder es ihnen gelingt, z. B. durch eine Beteiligung im Vorfeld des ICO eine Sonderstellung unter den Investoren zu erreichen.
Aus juristischer Sicht sind steuerliche, gesellschaftsrechtliche und regulatorische Aspekte in die Strukturierung eines ICOs einzubeziehen. Im Übrigen spielt die öffentliche Wahrnehmung des Emittenten und/oder des zu finanzierenden Projektes eine entscheidende Rolle für den wirtschaftlichen Erfolg eines jeden ICOs. Diese hängt nicht zuletzt vom Grad der durch die Investoren wahrgenommenen Rechtssicherheit und der Reputation der anwendbaren Rechtsordnung ab.
(Rechtsanwalt)