FG Düsseldorf, Urteil vom 22. Februar 2018, Az. 9 K 280/15 H U (DB 2018, Seite 871)
Streitig war die Haftung einer Enkelgesellschaft als Organgesellschaft für Umsatzsteuerschulden der Organträgerin nach § 191 i. V. m. § 73 AO, soweit sie diese durch Leistungsbeziehungen selbst verursacht hatte.
Im Rahmen der ertragsteuerlichen Organschaft hatte der I. Senat des BFH in einem vielbeachteten Urteil vom 31. Mai 2017 (Az. I R 54/15, BStBl. II 2018, S. 54) eine Haftungserweiterung für Körperschaftsteuerschulden in mehrstufigen Organgesellschaftsverhältnissen und damit eine extensive Auslegung des § 73 AO ausdrücklich mit der Begründung abgelehnt, dass die Vorschrift nur auf zweipersonale Organschaftsverhältnisse anzuwenden sei. Bei mittelbarer Beherrschung komme daher eine Anwendung der Haftungsvorschrift nur bei Bestehen eines direkten Ergebnisabführungsvertrages in Betracht (sog. mittelbare Organschaft bzw. Klammerorganschaft). Denn § 73 AO sehe eine Haftung der Organgesellschaft nur „…für solche Steuern des Organträgers [vor], für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist.“ Die ertragsteuerliche Organschaft entstehe aber nur zwischen den Beteiligten des Ergebnisabführungsvertrages.
Nunmehr hatte das FG Düsseldorf im Besprechungsurteil für den Fall der umsatzsteuerlichen Organschaft die Frage zu beantworten, ob die Einschränkungen des BFH für die Anwendung des § 73 AO bei der umsatzsteuerlichen Organschaft entsprechend anzuwenden sind.
Die Klägerin, Enkelgesellschaft und Organgesellschaft im Rahmen einer umsatzsteuerlichen Organschaft einer insolventen Organträgerin D AG, wurde im Rahmen eines Haftungsbescheids nach § 191 i. V. m. § 73 AO für Umsatzsteuerschulden der D AG, soweit diese durch Leistungsbeziehungen der Klägerin entstanden waren, in Anspruch genommen. Die D AG war nicht unmittelbar an der Klägerin beteiligt. Vielmehr wurde das Organschaftsverhältnis über die Tochtergesellschaft der D AG, nämlich die D Versand AG, vermittelt.
Bei strikter Anwendung der Grundsätze des vorbezeichneten BFH-Urteils hätte das FG Düsseldorf den Haftungsbescheid aufheben müssen. Tatsächlich ist aus Sicht des Senats der Haftungsbescheid aber rechtmäßig. Anders als bei der ertragsteuerlichen Organschaft seien im Umsatzsteuerrecht auch mehrstufige Organschaften denkbar, deren Beteiligte dann als einheitliches Unternehmen zu qualifizieren seien. Alle Leistungen würden dem Organträger zugerechnet; Innenumsätze würden dagegen nicht erfasst. Bilaterale Rechtsbeziehungen – wie z. B. durch einen Ergebnisabführungsvertrag, wie für das Vorliegen der Organschaft im Ertragsteuerrecht – gäbe es in den Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft nicht. Die umsatzsteuerliche Organschaft entstehe also auch in mehrstufigen Strukturen immer zwischen allen Unternehmen mit der Folge, dass ein einheitliches Unternehmen mit Zurechnung aller Umsätze beim Organträger entstehe. Dies werde auch durch § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 UStG bestätigt, der die Zusammenfassung aller zur Organschaft gehörigen Unternehmensteile anordne. Diese Rechts- und Systemunterschiede rechtfertigten es, die jeweilige Organgesellschaft – entgegen der Rechtsprechung des BFH für ertragsteuerliche Organschaften – für Umsatzsteuerschulden nach § 73 AO haften zu lassen, die diese durch ihre Tätigkeit veranlasst hat.
Das FG Düsseldorf geht mit diesem Urteil über die vom BFH entwickelten Kriterien zur Haftung in mehrstufigen ertragsteuerlichen Organschaftsverhältnissen hinaus. Diese Sichtweise führt in der Praxis zu extensiven Haftungsszenarien von Organgesellschaften im Rahmen der Umsatzsteuer, die für die ertragsteuerliche Organschaft ausdrücklich als zu weitgehend angesehen wurden. Ob der Systemunterschied bei ertrag- und umsatzsteuerlicher Organschaft die Ausweitung der Haftungsregelung wie vom FG Düsseldorf entschieden rechtfertigt, darf vor dem Hintergrund der Aussage des BFH, trotz einer ggf. bestehenden Haftungslücke Zurückhaltung bei der ausdehnenden Auslegung des § 73 AO zu üben, bezweifelt werden. Trotzdem bleibt abzuwarten, ob auch der für die Umsatzsteuer zuständige Senat des BFH die Meinung seiner ertragsteuerlichen Kollegen des I. Senats teilt.
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