Insbesondere bei der Vergabe von Bauleistungen mit umfangreichen Leistungsverzeichnissen kommt es oftmals vor, dass Bieter in ihren Angeboten die durch den Auftraggeber geforderten Fabrikats-, Hersteller- oder Typbezeichnungen vollständig vergessen, nur unvollständig oder nicht eindeutig angeben. Nach wie vor ist nicht abschließend geklärt, ob derartige Angebotsmängel durch die Regeln über das Nachfordern fehlender Erklärungen und Nachweise gemäß § 16a EU VOB/A (§ 16a VOB/A) bzw. § 56 Abs. 2 VgV (§ 41 Abs. 2 UVgO) geheilt werden können oder zwingend ausgeschlossen werden müssen. Die Vergabekammer Sachsen-Anhalt hat sich in einer aktuellen Entscheidung (Beschluss vom 29.06.2018 – 3 VK LSA 36/18) erneut mit diesem Problemkreis befasst.
Der Auftraggeber schrieb Bauleistungen für die Errichtung eines Schmutzwasserkanals nach den Vorschriften des ersten Abschnitts der VOB/A national aus. Die Bieter sollten zu verschiedenen Positionen des Leistungsverzeichnisses Hersteller, Typ und Fabrikate eintragen. Bei der Submission stellte der Auftraggeber bei einem der Angebote fest, dass dieses hinsichtlich einer Position nicht die geforderten Angaben zu „Hersteller/Typ/System“ enthielt und schloss das Angebot daraufhin vom Wettbewerb aus. Einer hiergegen erhobenen Rüge half der Auftraggeber nicht ab, sodass der Bieter Rechtsschutz vor der Vergabekammer Sachsen-Anhalt begehrte.
Die sachliche Zuständigkeit der Vergabekammer Sachsen-Anhalt folgt aus § 19 Abs. 3 des Landesvergabegesetzes, der für Bauvergaben ab einem Nettoauftragswert von EUR 150.000 eine landesspezifische Sonderregelung zum Primärrechtsschutz unterhalb der EU-Schwellenwerte vorsieht.
Die Vergabekammer Sachsen-Anhalt gab dem Auftraggeber recht. Der Ausschluss des Angebots sei wegen Unvollständigkeit gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A zwingend. Insbesondere bestehe keine Pflicht des Auftraggebers, die fehlenden Angaben nach Maßgabe des § 16a VOB/A nachzufordern. Denn bei den fehlenden Hersteller- und Fabrikatsangaben handele es sich nicht um „Erklärungen oder Nachweise“ im Sinne des § 16a VOB/A, sondern vielmehr um integrale Angebotsbestandteile.
Mit den vom Auftraggeber im Leistungsverzeichnis geforderten Fabrikatsangaben lege der Bieter in seinem Angebot erstmalig eine vertragsgegenständliche Leistung fest, die bei Zuschlagserteilung zum Vertragsgegenstand werde. Die Angabe des Fabrikats sei erforderlich, um bei der technischen Prüfung beurteilen zu können, ob das vom Bieter angebotene Produkt den Anforderungen des Leistungsverzeichnisses entspreche. Das demzufolge unvollständige Angebot des Bieters sei letztlich wie ein Angebot zu behandeln, welches bei Ablauf der Angebotsfrist nicht vorgelegen habe und müsse daher gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A ausgeschlossen werden.
Die Vergabekammer hält damit an ihrer bereits in der Vergangenheit vertretenen restriktiven Spruchpraxis fest (vgl. u. a. Beschluss vom 19.10.2017 – 3 VK LSA 82/17; Beschluss vom 29.11.2016 – 3 VK LSA 45/16). Dabei vertritt sie diese Rechtsauffassung keinesfalls exklusiv. In der jüngeren Rechtsprechung erachten auch andere Kammern das Nachfordern nur hinsichtlich solcher Angaben für zulässig, die den Inhalt der angebotenen Leistung „belegen“, nicht aber – wie im Falle der nachträglichen Benennung eines Herstellers, Typs oder Fabrikats angenommen – erstmalig definieren (vgl. VK Westfalen, Beschluss vom 09.06.2017 – VK 1-12/17; VK Thüringen, Beschluss vom 27.07.2016 – 250-4002-5385/2016-N-007-IK).
Die Vergabekammer Sachsen-Anhalt weist in ihrer Entscheidung allerdings darauf hin, dass andere Nachprüfungsinstanzen eine weniger formale Betrachtungsweise vertreten (vgl. nur OLG Dresden, Beschluss vom 17.01.2014 – Verg 7/13; VK Südbayern, Beschluss vom 15.05.2015 – Z3-3-3194-1-05-01/15; VK Nordbayern, Beschluss vom 25.06.2014 – 21.VK-3194-15/14). Sie legen die Nachforderungsregeln – wohl mit Blick auf die Historie der Vorschriften – deutlich weiter aus. So sollten die Gesetzesregeln ursprünglich der früher sehr strengen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entgegenwirken, wonach selbst geringfügige Formfehler zum zwingenden Angebotsausschluss führten (BGH, Urteil vom 18.02.2003 – X ZB 43/02). Es ging also vor allem um die Herstellung eines möglichst großen Wettbewerbs.
Aufgrund der divergierenden Rechtsprechung und der damit verbundenen Rechtsunsicherheiten, sollten Bieter vor allem bei komplexen Leistungsverzeichnissen große Sorgfalt darauf verwenden, die vom Auftraggeber geforderten Fabrikats-, Hersteller- oder Typangaben vollständig und zweifelsfrei einzutragen. Keinesfalls sollte darauf spekuliert werden, dass der Auftraggeber eine fehlende Bezeichnung nachfordern wird. Dies gilt für Bauvergaben und erst recht für die Ausschreibung von Liefer- und Dienstleistungen, bei denen das Nachfordern von Unterlagen ohnehin gemäß § 56 Abs. 2 VgV bzw. § 41 Abs. 2 UVgO im Ermessen des Auftraggebers steht.
In einem echten Dilemma stecken hingegen Auftraggeber, jedenfalls bei Bauvergaben. Denn sie machen sich im Falle fehlender Fabrikats-, Hersteller- oder Typangaben angreifbar, egal wie sie sich entscheiden. Schließen sie das Angebot des Bieters aus, ohne nachzufordern, wird sich dieser unter Umständen mit den Argumenten der Vergabekammern Nord- und Südbayern sowie des OLG Dresden hiergegen zur Wehr setzen. Fordern sie die fehlende Angabe nach, wird sich möglicherweise ein konkurrierender Bieter auf die Rechtsprechung der Vergabekammern Sachsen-Anhalt, Westfalen und Thüringen berufen und den Ausschluss des Angebotes des Konkurrenten verlangen. Vermeiden können öffentliche Auftraggeber eine solch missliche Situation durch eine eindeutige und transparente Gestaltung der Vergabeunterlagen und durch sorgfältige Prüfung des Einzelfalls mit entsprechend individuell begründeter Dokumentation des Vorgehens bei der Angebotswertung.
Wenn Sie Fragen zu diesem Thema haben, steht Ihnen Dr. Lars Hettich gerne zur Verfügung.