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    05.08.2018

    Bezahlte Freistellung bei Arztbesuch des Arbeitnehmers


    Arztbesuche von Arbeitnehmer während der Arbeitszeit führen beim Arbeitgeber oftmals zum Ärgernis. Einerseits fehlt der Arbeitnehmer für die Dauer der Wegzeiten vom Arbeitsplatz zum Arzt und zurück, während den teilweise langen Wartezeiten beim Arzt und für den Zeitraum der Untersuchung und Behandlung. In dieser Zeit kann der Arbeitnehmer keine Arbeitsleistung erbringen. Andererseits wird von Arbeitnehmern oftmals die bezahlte Freistellung für den Arztbesuch verlangt. Zu Recht?

     

    Liebe Leserin, lieber Leser,

    Im Arbeitsverhältnis gilt der Grundsatz „kein Lohn ohne Arbeit“. Von diesem Grundsatz gibt es verschiedene gesetzliche Ausnahmeregelungen, wie die vorübergehende Verhinderung gemäß § 616 BGB. Ist der Arztbesuch während der Arbeitszeit eine solche Ausnahme, bei der der Arbeitnehmer nicht nur von der Arbeitsleistung freigestellt, sondern auch noch bezahlt wird?

     

    Allgemeine Voraussetzungen

     

    Der Arbeitnehmer muss nach § 616 Satz. 1 BGB – auch ohne Arbeitsleistung – vergütet werden, wenn er

     

    • für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit
    • durch einen in seiner Person liegenden Grund
    • ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird und
    • keine tariflichen oder arbeitsvertraglichen anderweitigen Regelungen bestehen.

     

    Der persönliche Grund muss alleinige Ursache für die Verhinderung sein und der Arbeitnehmer muss - soweit möglich - versuchen, den Arbeitsausfall zu vermeiden.

     

    Arztbesuche ohne Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit

     

    Vergütungspflicht nach § 616 BGB besteht einerseits bei einem im jeweiligen Zeitpunkt medizinisch notwendigen Arztbesuch. Dies ist stets gegeben bei akuten Beschwerden, wobei in der Praxis regelmäßig eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit folgt und damit die Entgeltfortzahlungspflicht nach dem Entgeltfortzahlungspflicht vorrangig besteht.

    Vergütungspflicht nach § 616 BGB besteht aber auch dann, wenn der Arztbesuch nicht dringend medizinisch notwendig ist, der Arzt jedoch den Termin während der Arbeitszeit zwingend festlegt (Bsp.: Röntgen oder Blutabnahme zu einem bestimmten Zeitpunkt im nüchternen Zustand, Termin bei einem Spezialisten).

     

    Vergütungspflichtig im Sinne des § 616 BGB sind daher grundsätzlich auch allgemeine Untersuchungs- und Behandlungstermine, wenn der vom Arbeitnehmer ausgesuchte Arzt seines Vertrauens Sprechstunden oder Termine nur während der Arbeitszeit anbietet. Der Arbeitnehmer muss jedoch versuchen, einen Termin außerhalb seiner Arbeitszeit bzw. außerhalb seiner Gleitzeit zu erhalten. Nimmt er beispielsweise kommentarlos den Terminvorschlag des Arztes während der Arbeitszeit hin, entfällt der Vergütungsanspruch nach § 616 BGB.

     

    LAG Niedersachen, Urteil vom 08.02.2018 (7 Sa 256/17)

     

    Das LAG Niedersachen hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem der Arbeitnehmer in der Zeit von 10:15 Uhr bis 11:45 Uhr einen Arzttermin bei einem Facharzt für Orthopädie wahrnahm. Für die Zeit vor und nach dem Arzttermin nahm der Arbeitnehmer Freizeitausgleich. Der Arbeitnehmer verlangte Lohnfortzahlung für die Zeit des Arztbesuchs in Höhe von 1,5 Stunden. Das LAG Niedersachen hat wie folgt entschieden:

     

    „Grundsätzlich ist ein Arztbesuch nicht bereits dann notwendig, wenn der behandelnde Arzt einen Arbeitnehmer während der Arbeitszeit zur Behandlung oder Untersuchung in seine Praxis bestellt. Der Arbeitnehmer muss versuchen, die Arbeitsversäumnis möglichst zu vermeiden. Hält der Arzt außerhalb der Arbeitszeit Sprechstunden ab und sprechen keine medizinischen Gründe für einen sofortigen Arztbesuch, musste der Arbeitnehmer die Möglichkeit der Sprechstunde außerhalb der Arbeitszeit wahrnehmen.

     

    Ein Fall unverschuldeter Arbeitsversäumnis liegt bei einem Arztbesuch vor, wenn der Arbeitnehmer von einem Arzt zu einer Untersuchung oder Behandlung einbestellt wird und der Arzt auf terminliche Wünsche des Arbeitnehmers keine Rücksicht nehmen will oder kann.“

     

    Häufigkeit für eine bezahlte vorübergehende Verhinderung bei Arztbesuchen

     

    Eine Obergrenze für die Anzahl der auftretenden Verhinderungsfälle ist gesetzlich nicht vorgehsehen. Jeder Verhinderungsfall mit neuer Ursache kann grundsätzlich einen erneuten Anspruch nach § 616 BGB auslösen. Nach einer verbreiteten Auffassung werden hingegen bei gleicher Ursache mehrere Verhinderungsfälle zusammengerechnet, so dass der Arbeitnehmer bei Überschreiten einer verhältnismäßigen Zeit die gezahlte Vergütung gegebenenfalls zurückerstatten muss.

     

    Der Arbeitnehmer hat jedoch bei mehreren auf derselben Ursache beruhenden Verhinderungsfällen jedenfalls dann keinen Anspruch mehr aus § 616 BGB, wenn er absehen konnte, dass ein Ereignis eine mehrfache Arbeitsverhinderung zur Folge hat und er daraufhin keine geeigneten Vorkehrungen getroffen hat, um das Hindernis zu vermeiden.

     

    Abweichende Vereinbarungen (Abdingbarkeit des § 616 BGB)

     

    Die Regelung des § 616 BGB kann im Arbeitsvertrag abgeändert werden. Eine solche Abänderung kann auch zuungunsten der Arbeitnehmer erfolgen, bis hin zur völligen Abdingbarkeit des § 616 BGB. Es kann deshalb die Vergütungsfortzahlung in den Fällen des § 616 BGB gänzlich ausgeschlossen werden, aber auch auf bestimmte im Arbeitsvertrag abschießend aufgezählte Fälle beschränkt werden.

     

    Allen Arbeitgebern wünsche ich wenig bezahlte Freistellungen aufgrund von Arztbesuchen von Mitarbeitern.

     

    Wenn Sie Fragen zu diesem Thema haben, wenden Sie sich gerne an Dr. Erik Schmid.

     

    Hinweis: Dieser Blogbeitrag ist bereits im arbeitsrechtlichen Blog von Dr. Erik Schmid im HJR-Verlag erschienen.

     

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