Aufgrund einer neuen Verwaltungspraxis der Agentur für Arbeit drohen Arbeitnehmern, die im Zusammenhang mit einer ordentlichen Kündigung unwiderruflich freigestellt werden, Einbußen bei der Höhe des Arbeitslosengelds. Widerrufliche Freistellungen sind von der geänderten Verwaltungspraxis bislang nicht betroffen. Die neue Praxis könnte dazu führen, dass sich Arbeitnehmer Vereinbarungen über eine unwiderrufliche Freistellung in Zukunft vermehrt verschließen. Für die Arbeitgeber wäre eine solche Entwicklung vor allem im Hinblick auf die Gewährung von Resturlaub nachteilhaft.
Nach derzeitiger gesetzlicher Regelung beträgt das Arbeitslosengeld im allgemeinen Leistungssatz grundsätzlich 60 Prozent des pauschalierten Nettoentgelts. Letzteres wird aus dem Bruttoentgelt ermittelt, das die oder der Arbeitslose im relevanten Bemessungszeitraum erzielt hat. Der Bemessungszeitraum umfasst dabei die beim Ausscheiden aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen, der grundsätzlich ein Jahr umfasst und der mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs endet.
Endete die versicherungspflichtige Beschäftigung am 30. Juni 2016 und erfolgte am 5. Juli 2016 die Arbeitslosmeldung, so käme es für die Berechnung des Arbeitslosengeldes in erster Linie auf dasjenige Entgelt an, das der betroffene Arbeitnehmer im Zeitraum zwischen dem 1. Juli 2015 und dem 30. Juni 2016 erzielt hat.
Per Geschäftsanweisung vom 20. Juli 2016 hat die Bundesagentur für Arbeit ihren örtlichen Agenturen die Anweisung erteilt, „Zeiten einer unwiderruflichen Freistellung” bei der Ermittlung des Bemessungszeitraums nicht mehr zu berücksichtigen. Die geänderte Praxis kann zu einer deutlichen Reduzierung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld führen. Eine solche Reduzierung droht insbesondere, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Abwicklungsverträgen oder in einem (arbeitsgerichtlichen) Vergleich nach dem Ausspruch einer arbeitgeberseitigen Kündigung lange Auslauffristen von mindestens einem Jahr vereinbaren. Wird zum Beispiel vereinbart, dass das Arbeitsverhältnis mit einer langen Kündigungsfrist von zwölf Monaten enden und der Arbeitnehmer in diesem Zeitraum unter Fortzahlung der Vergütung unwiderruflich freigestellt werden soll, würde ein solcher Entgeltabrechnungszeitraum für die Bestimmung des Bemessungszeitraums nicht mehr berücksichtigt.
Die neue Weisungslage ist bisher in der juristischen Literatur überwiegend auf Ablehnung gestoßen. Erste Klagen gegen Arbeitslosengeldbescheide, in denen die Zeit der Freistellung aus dem Bemessungszeitraum ausgeklammert wurde, sollen bereits anhängig sein. Rechtlich dürfte die Nichtberücksichtigung von Entgeltabrechnungszeiträumen während der Freistellung kaum haltbar sein. So hat das Bundessozialgericht (BSG) bereits im Jahr 2008 entschieden, dass das Beschäftigungsverhältnis eines Arbeitnehmers aufgrund einer unwiderruflichen Freistellung grundsätzlich nicht endet, sofern der Arbeitgeber während der Freistellungsphase das Gehalt weiter zahlt. Die bis dahin bestehende, durch ein Besprechungsergebnis der Sozialversicherungsträger aus dem Jahr 2005 ausgelöste Rechtspraxis, zur Vermeidung des Verlusts des Sozialversicherungsschutzes unwiderrufliche Freistellungen nur noch einseitig auszusprechen oder auf widerrufliche Freistellungen auszuweichen, wurde durch diese Entscheidung des BSG erst überholt. Nun stellt sich die Frage unter geänderten Vorzeichen erneut.
Arbeitnehmer, die die geänderte Verwaltungspraxis der Agentur für Arbeit kennen, werden in Zukunft womöglich zurückhaltender sein, einer unwiderruflichen Freistellung durch den Arbeitgeber in einer Aufhebungsvereinbarung oder einem Vergleich zuzustimmen. Arbeitgeber könnten zudem gehalten sein, Arbeitnehmer vor einer entsprechenden Einigung auf die besagten Auswirkungen der neuen Weisungslage hinzuweisen, wobei in Bezug auf die Einzelheiten der Berechnung ein Verweis an die zuständige Agentur für Arbeit ausreichend sein dürfte. Rechtsprechung zum Umfang entsprechender Hinweispflichten in diesem Zusammenhang besteht bislang – soweit ersichtlich – nicht. Für die Arbeitgeber bleiben unwiderrufliche Freistellungen unterdessen grundsätzlich erste Wahl. Insbesondere besteht für Arbeitgeber allein bei einer unwiderruflichen Freistellung die Möglichkeit, einen etwaigen (Rest-)Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers noch vor der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu gewähren und somit Abgeltungsansprüche des Mitarbeiters zum Beendigungstermin weitestgehend auszuschließen. Die Möglichkeiten des Arbeitgebers, einen Arbeitnehmer ohne dessen Zustimmung freizustellen, sind dagegen begrenzt. Aus dem Arbeitsverhältnis ergibt sich für den Mitarbeiter nicht nur die Pflicht, die Arbeitsleistung zu erbringen, sondern auch ein Anspruch auf Beschäftigung. Daher lässt die Rechtsprechung – auch innerhalb der Kündigungsfrist – eine einseitige Freistellung nur zu, wenn eine Weiterbeschäftigung des Mitarbeiters mit Rücksicht auf überwiegende, schutzwürdige Belange des Arbeitgebers für diesen unzumutbar ist (z. B. wegen der Gefahr des Verrats von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen bei einem Wechsel zu einem Konkurrenzunternehmen oder bei einer Gefährdung der betrieblichen Ordnung durch eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers). Wenn Sie Fragen zu diesem Thema haben, wenden Sie sich bitte an Herrn Dr. Johannes Allmendinger.