Bundesgerichtshof, Urteil vom 14. November 2017 – VII ZR 65/14
Der Auftraggeber verlangte vom Auftragnehmer die Zahlung eines Vorschusses zur Mangelbeseitigung. Gegenstand des Auftrages war die Errichtung dreier Pultdachhallen zu einem Festpreis. In der Gebäudebeschreibung war eine bestimmte Schneelast für die Hallendacher vorgesehen, die der zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses und der Erteilung der Baugenehmigung geltenden einschlägigen DIN entsprach. Zum Zeitpunkt der Fertigstellung der Hallen galt jedoch aufgrund einer Änderung der einschlägigen DIN eine höhere Schneelast. Der Auftraggeber machte daraufhin im Wege der Klage einen erheblichen Vorschuss in Höhe der voraussichtlichen Kosten für die Verstärkung der Dachkonstruktion geltend.
Sowohl das Landgericht Hechingen als auch das Oberlandesgericht Stuttgart gaben der Klage jeweils in erheblichem Umfang statt.
Der Bundesgerichtshof hob das Berufungsurteil auf und verwies den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurück. Entscheidende Frage war, welche technische Ausführung in Bezug auf die Schneelast und damit die Standsicherheit der Hallendächer der Auftragnehmer nach dem zugrunde liegenden Vertrag schuldete. Auf das Rechtsverhältnis anwendbar war die VOB/B (2006). Entscheidend war, welche Abrede die Parteien für die Errichtung der Hallen unter Berücksichtigung der Schneelast im Vertrag getroffen hatten. Im konkreten Fall kam der BGH zu dem Ergebnis, dass das Berufungsgericht die von den Parteien hierzu getroffenen Vereinbarungen nicht ausreichend und nicht interessengerecht ausgelegt habe.
Richtig sei allerdings, dass der Auftragnehmer grundsätzlich gemäß § 13 Nr. 1 VOB/B (2006) zum Zeitpunkt der Abnahme ein Bauwerk schulde, das der vereinbarten Beschaffenheit und den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspreche. Die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik sei unabhängig davon geschuldet, ob öffentlich-rechtlich geringere Anforderungen an die Bauausführung gestellt werden, weil der Auftragnehmer die üblichen und gegebenenfalls höheren Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen einzuhalten habe, die sich aus den allgemein anerkannten Regeln der Technik ergeben.
Dies gilt nach Ansicht des BGH grundsätzlich auch, wenn sich der Stand der allgemein anerkannten Regeln der Technik, die zum Zeitpunkt der Abnahme gelten, gegenüber dem Stand bei Vertragsabschluss erhöht haben. In der Regel habe der Auftragnehmer den Auftraggeber auch über die Änderung und die damit verbundenen Konsequenzen und Risiken zu informieren. Etwas anderes könne dann gelten, wenn dem Auftraggeber diese Konsequenzen und Risiken bekannt sind oder sich ohne Weiteres aus den Umständen ergeben. Der Auftraggeber müsse die Möglichkeit haben, zu verlangen, dass das Bauwerk nach dem höheren Standard erstellt oder ein erstelltes Bauwerk für die Abnahme gemäß dem höheren technischen Standard ertüchtigt wird. Der Auftragnehmer kann im Regelfall auch eine Anpassung der Vergütung verlangen oder aber der Auftraggeber entscheidet sich dazu, nach dem alten technischen Standard erstellen zu lassen, weil er die höheren Kosten nicht eingehen will.
Nach Ansicht des BGH können die Parteien aber auch bei Vertragsabschluss vereinbaren, dass das Bauwerk hinter den aktuellen oder auch den künftigen allgemein anerkannten Regeln der Technik zurückbleibt, soweit deren Einführung bereits absehbar ist. Allerdings müssen nach Ansicht des Gerichts dem Auftraggeber auch in diesem Fall die damit verbundenen Konsequenzen und Risiken bekannt sein, da sonst nicht von einer Zustimmung des Auftraggebers zu einer Bauausführung auszugehen ist, die unter dem Stand der allgemein anerkannten Regeln der Technik bleibt.
Im konkreten Fall hob der BGH das Urteil deshalb auf, weil das Berufungsgericht nicht ausreichend berücksichtigt hatte, dass dem Auftraggeber und seinem Architekten die Änderung der Vorgaben zur Schneelast bei Vertragsabschluss bekannt gewesen waren. Außerdem sei nicht ausreichend berücksichtigt worden, dass der Auftraggeber in Kenntnis der maßgeblichen Umstände hinsichtlich der Veränderung der Schneelastnorm, allein aus Preisgründen die Ausführung nach dem alten Standard vereinbart haben könnte, um Kosten zu sparen.
Beide Parteien eines Bauvertrages sollten sich bei Vertragsabschluss Klarheit darüber verschaffen, ob bis zum Zeitpunkt der Abnahme mit geänderten technischen Normen, insbesondere einer geänderten DIN zu rechnen ist. Auf eine etwa erteilte Baugenehmigung und die zum Zeitpunkt der Baugenehmigung maßgebliche DIN können die Parteien nicht vertrauen. Das Risiko einer Änderung des technischen Standards ist umso größer, je länger der Zeitraum zwischen Vertragsabschluss und Fertigstellung des Bauwerkes voraussichtlich sein wird. Sollte eine Änderung der technischen Standards schon erkennbar oder angekündigt sein, sollten sich die Parteien bei Vertragsabschluss auch genau überlegen, wie sie damit umgehen wollen. Das heißt es muss klar vereinbart werden, ob zum Zeitpunkt der Abnahme noch der alte oder schon der neue Standard gelten soll. Wenn der neue Standard gelten soll, führt dies in der Regel auch zu einer höheren Vergütung. Wenn der Auftraggeber dies nicht will, gleichwohl aber einen höheren Standard wünscht, muss im Vertrag deutlich klargestellt werden, ob beispielsweise mit einem vereinbarten Pauschalpreis auch die Ausführung nach einem zum Zeitpunkt der Abnahme geltenden höheren technischen Standard abgegolten ist.
Wenn Sie Fragen zu dem Thema haben, wenden Sie sich gerne an Dr. Klaus Kemen.