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    08.08.2018

    Auftragswertberechnung: Keine Addition durchschnittlicher Planerleistungen


    „Eine Addition der Planungskosten für Objektplanungsleistungen, Tragwerksplanung und Planung technische Gebäudeausrüstung musste nicht vorgenommen werden.“ Dies zumindest, wenn es sich um Vorhaben von „durchschnittlicher Komplexität“ handelt.

     

    Mit diesen Feststellungen stellt sich die Vergabekammer Nordbayern in einem Beschluss vom 9. Mai 2018 – RMF-SG21-3194-3-10 – gegen die sich abzeichnende Tendenz in der Literatur und Rechtsprechung, wonach Planungsleistungen regelmäßig wertmäßig zu addieren sind. Der Beschluss, dem die Vergabe von Planungsleistungen zum Bau eines Kindergartens zugrunde lag, weckt Hoffnung für Auftraggeber, hier weiterhin häufiger im Unterschwellenbereich bleiben zu können, indem die einzelnen Fachplanungsleistungen wertmäßig isoliert betrachtet werden.   Trotzdem bleibt es auch nach dem Beschluss der VK Nordbayern vor dem Hintergrund von Art. 5 Abs. 8 der Richtlinie 2014/24/EU sowie der Entscheidung des OLG München vom 13. März 2017, Verg 15/16 und insbesondere des Urteils „Autalhalle“ des EuGH vom 15. März 2012, 10-574/10 fraglich, ob öffentliche Auftraggeber die Auftragswerte für Planungsleistungen („Objekte“) nach der HOAI für ein Vorhaben rechtssicher isoliert betrachten und ggf. einzelne Leistungen unterschwellig vergeben können oder ob es aus Gründen der Rechtssicherheit geboten ist, alle auszuschreibenden Objekte wertmäßig zu addieren und – bei dann häufiger Überschreitung des EUSchwellenwerts – gemäß den Regeln des Kartellvergaberechts europaweit auszuschreiben.

     

    Der Sachverhalt

     

    Der Entscheidung der Vergabekammer Nordbayern liegt eine EU-weite Ausschreibung zur Vergabe von Planungsleistungen des Leistungsbildes „Objektplanung Gebäude und Innenräume“ gemäß § 34 HOAI über die Leistungsphasen 1 bis 9 nach der HOAI im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb zugrunde. Die Antragstellerin rügte die Wahl der Eignungskriterien hinsichtlich der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit. Dieser Rüge half die Antragsgegnerin nicht ab, woraufhin die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag stellte. Die Antragsgegnerin machte u. a. geltend, dass der Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts nicht eröffnet sei, da die Kosten für die Objektplanungsleistungen isoliert betrachtet den Schwellenwert von EUR 221.000 nicht überschreiten würden. Eine Addition der geschätzten Planungskosten von Objektplanung, Tragwerksplanung und der Planung der technischen Gebäudeausrüstung würde zwar zu einer Überschreitung der Schwellenwerte führen, komme vorliegend jedoch nicht in Betracht, da es sich nicht um gleichartige Leistungen gemäß § 3 Abs. 7 S. 2 VgV handele.

     

    Die Entscheidung

     

    Die Vergabekammer schließt sich in ihrer Entscheidung der Rechtsauffassung der Vergabestelle an: Zwar erfordere die Objektplanung eines Vorhabens mit durchschnittlicher Komplexität auch die standardmäßige Integration der anderen Objekte. Diese Integrationsleistung, die gemäß Anlage 10, Nr. 10.1 (Leistungsbild Gebäude und Innenräume) der HOAI Leistungspflicht des Objektplaners ist, reicht aus Sicht der Vergabekammer allein jedoch noch nicht aus, um von einer funktionellen, wirtschaftlichen und technischen Einheit der einzelnen Planungsleistungen auszugehen. Die wertmäßige Addition von Planungsleistungen sei bei der Kostenschätzung gemäß § 3 Abs. 7 S. 2 VgV aber nur dann vorzunehmen, wenn diese Planungsleistungen „gleichartig“ seien. Diese Gleichartigkeit sei nur bei einer besonders engen Verzahnung der wirtschaftlichen und technischen Funktionen der Planungsleistungen gegeben, die ggf. bei hochkomplexen oder hochtechnischen Anlagen vorliegen könnte, nicht jedoch bei der hier vorliegenden Planung eines Kindergartens.

     

    Der eine entsprechende Einheitlichkeit von Planungsleistungen bejahende Beschluss des OLG Münchens vom 13. März 2017, Verg 15/16, ist nach Ansicht der Vergabekammer nicht auf den zu entscheidenden Sachverhalt übertragbar. Denn dort habe die Vergabestelle bereits mit Bekanntmachung deutlich auf die funktionale, wirtschaftliche und technische Einheit der einzelnen Planungsleistungen hingewiesen. Zum Urteil „Autalhalle“ des EuGH vom 15. März 2012, 10-574/10, äußert sich die Vergabekammer nicht.

     

    Praxishinweise

     

    Die Entscheidung der VK Nordbayern bestätigt die bisherige Praxis der Auftragswertberechnung zumindest für Vorhaben mit einer durchschnittlichen Komplexität. Trotzdem ist bei der Auftragswertberechnung von Planungsleistungen zur Vorsicht zu raten. Das Urteil „Autalhalle“ des EuGH sowie der Beschluss des OLG München (a.a.O.) zur Addition von Planungsleistungen bei der Auftragswertberechnung weisen jedenfalls in eine andere Richtung.

     

    Gemäß § 3 Abs. 7 S. 2 VgV sind Planungsleistungen, die in verschiedenen Losen vergeben werden, nur dann wertmäßig zu addieren, wenn sie gleichartige Leistungen betreffen. Nach der Begründung des Verordnungsgebers sind „gleichartige“ Planungsleistungen solche, die in einem wirtschaftlichen technischen Zusammenhang stehen (Verordnungsbegründung zu § 3 Abs. 7 VgV BR – Drs. 87/16, 158).

     

    Nach überwiegender Ansicht ist § 3 Absatz 7 Satz 2 VgV so auszulegen, dass eine wertmäßige Addition der einzelnen Leistungsbilder der HOAI im Rahmen der Wertberechnung nicht erforderlich ist, da die Objekte der HOAI nicht „gleichartig“ sind (statt vieler Matuschak, NZBau 2016, 613). Auch die Entstehungsgeschichte des § 3 Abs. 7 VgV spricht für eine solche Auslegung: In einem ersten Entwurf der Vergabeverordnung war vorgesehen, dass sämtliche Leistungen, die in einem funktionalen Zusammenhang stehen, zu addieren sind. Um eine „mittelstandsfreundliche Lösung“ zu finden, wurde der Begriff der Gleichartigkeit eingeführt (Stolz, VergabeR 2016, 351, 352). In der Konsequenz musste bspw. die Objektplanung, soweit die diesbezügliche Auftragswertschätzung den geltenden EU-Schwellenwert überstieg, europaweit ausgeschrieben werden. Die übrigen Leistungsbilder (bspw. Freianlagen oder Tragwerksplanung), deren Auftragswert isoliert betrachtet unterhalb des Schwellenwertes lag, konnten jedoch nach den Vorschriften des Haushaltsvergaberechts beschafft werden.

     

    Gegen diese Auslegung bestehen jedoch durchgreifende europarechtliche Bedenken (vgl. Matuschak, a.a.O.). Art. 5 Abs. 8 der Richtlinie 2014/24/EU regelt nämlich, dass wenn Dienstleistungen zu Aufträgen führen können, die in mehreren Losen vergeben werden, der geschätzte Gesamtwert aller dieser Lose zu berücksichtigen ist. Die Einschränkung, dass nur gleichartige Planungsleistungen zu addieren sind, kennt das europäische Recht nicht.

     

    Der EuGH schließt hieraus (a.a.O., Rdnr. 45), dass Leistungen, die in wirtschaftlicher und technischer Hinsicht eine „innere Kohärenz und eine funktionale Kontinuität“ aufwiesen, als einheitlich zu verstehen seien. Folglich kommt es nicht auf die Gleichartigkeit der Leistungen, sondern auf deren funktionalen Zusammenhang an. Dieselbe Ansicht vertrat die EU-Kommission in einem eingestellten Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen der getrennten Auftragswertberechnung von Planungsleistungen für die Sanierung eines Schwimmbades (EU-Kommission – Vertragsverletzung Nr. 2015/4228): Entscheidend für die wertmäßige Betrachtung von Planungsleistungen sei nicht deren Gleichartigkeit, sondern die funktionelle Kontinuität und innere Kohärenz der Leistungen.

     

    Das OLG München (a.a.O.) schloss sich dem teilweise an und stellte klar, dass es zumindest nicht ausgeschlossen sei, dass der Begriff der „Gleichartigkeit“ in § 3 Abs. 7 S. 2 VgV funktional auszulegen sei. Von einem funktionalen Zusammenhang der einzelnen Leistungsbilder nach der HOAI sei im zu entscheidenden Fall jedoch ohnehin auszugehen, da der Auftraggeber in der Auftragsbekanntmachung selbst darauf hinwies, dass die Leistungen „eine Einheit ohne Schnittstellen“ bilden würden und somit in einem funktionellen Zusammenhang stünden. Entsprechend waren die Leistungen nach Ansicht des OLG München wertmäßig zu addieren.

     

    Zwar rückt die VK Nordbayern nicht grundlegend von der dargelegten Rechtsauffassung des EuGH und des OLG München ab: im Rahmen des § 3 Absatz 7 Satz 2 VgV könne nicht pauschal davon ausgegangen werden, dass die unterschiedlichen Leistungsbilder der HOAI per se „gleichartig“ sind. Vielmehr sei unter dem Tatbestandsmerkmal der „Gleichartigkeit“ zu prüfen, ob wirtschaftlich und technisch ein funktionaler Zusammenhang zwischen den ausgeschriebenen Leistungsbildern nach der HOAI gegeben sei.   Allerdings birgt die Entscheidung im Vergleich zu der zuvor dargelegten Rechtsprechung eine wesentliche Erleichterung für Auftraggeber: Die VK Nordbayern geht nämlich davon aus, dass im Regelfall bei der Planung einer Anlage mit durchschnittlicher Komplexität allein die standardmäßige Integration anderer Planungsleistungen, die vom Objektplaner nach der HOAI zu leisten ist, nicht ausreicht, um von einer funktionellen, wirtschaftlichen und technischen Einheit der einzelnen Planungsleistungen auszugehen. Vielmehr bedürfe es einer besonders engen Verzahnung, die „gegebenenfalls bei hochkomplexen oder hochtechnischen Anlagen vorliegen kann“, nicht aber bei Vorhaben mit „durchschnittlicher Komplexität“.

     

    In der Konsequenz reicht hiernach für die Begründung der getrennten wertmäßigen Betrachtung der Planerleistungen in der Regel die Feststellung aus, dass es sich um ein Vorhaben mit einer durchschnittlichen Komplexität handelt, um an der bisherigen Praxis zur Auftragswertberechnung festzuhalten. Dies wird gerade in der kommunalen Vergabepraxis die weit überwiegende Mehrheit der Planervergaben betreffen. Jedoch setzt sich der Beschluss der VK Nordbayern weder mit Art. 5 Abs. 8 der Richtlinie 2014/24/EU noch mit dem in Bezug genommenen Urteil des EuGH auseinander. Für den EuGH ist die Komplexität der Leistungen hinsichtlich der Auftragswertschätzung jedoch unerheblich. Vielmehr geht er bereits von einem funktionalen Zusammenhang von Architektenleistungen aus, wenn diese „im Wesentlichen die Konzeption und die Planung der vorzunehmenden Arbeiten sowie die Aufsicht über ihre Ausführung und die Durchführung eines einheitlichen Bauvorhabens betreffen“.

     

    Insofern bleibt in der Sache weiter obergerichtliche Rechtsprechung auf Grundlage eines Sachverhalts abzuwarten, in dem – anders als in dem vom OLG München zu entscheidenden Fall – der funktionale Zusammenhang zwischen den einzelnen Objekten nicht bereits in der Auftragsbekanntmachung durch den Auftraggeber selbst hergestellt wurde. Die hier besprochene Entscheidung ist rechtskräftig.   Besteht in einem konkreten Vorhaben das Risiko, dass Fördermittel zurückgefordert werden könnten – insbesondere wenn es sich um europäische Mittel (bspw. aus dem EFRE-Programm) handelt – sollten aus Gründen der Rechtssicherheit alle Fachplanungsleistungen wertmäßig addiert und bei Überschreiten der Schwellenwerte europaweit ausgeschrieben werden. Andernfalls besteht ein erhebliches Rückforderungsrisiko.

     

    Wenn Sie Fragen zu diesem Thema haben, wenden Sie sich gerne an Max Stanko.

     

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