Ein kranker Arbeitnehmer ist nicht immer krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Es gibt Arbeitnehmer, die sind krankheitsbedingt arbeitsunfähig und arbeiten nicht. Dies ist im Gesetz so vorgesehen. Es gibt kranke Arbeitnehmer (z.B. leichter Schnupfen), die sind nicht krankheitsbedingt arbeitsunfähig und arbeiten. Es gibt Arbeitnehmer, die nicht krank sind und „krank feiern“, dies ist ein Missbrauch und eine grobe Pflichtverletzung. Es gibt auch Arbeitnehmer, die krankheitsbedingt arbeitsunfähig sind, dem Arbeitgeber eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen und vor Ablauf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus ihrer Sicht wieder gesund wären und arbeiten möchten. Geht das?
Liebe Leserin, lieber Leser,
ich habe es selbst am eigenen Leib erfahren: In den Wintermonaten vor vielen Jahren wurde ich mit Husten, Schnupfen, Fieber und Gliederschmerzen „krankgeschrieben“. Der Arzt stellte mir eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus. Vor Ablauf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ging es mir jedoch wieder gut und ich bin zurück an meinen Arbeitsplatz gekehrt. Die Kollegen haben mich gemieden, da sie meinten, ich wäre ja noch krank. Zudem bestand Unsicherheit, ob ich überhaupt arbeiten darf, da ich ja „krankgeschrieben“ sei. Diese Frage ist mir dann bereits mehrfach auch in meiner Beratungspraxis gestellt worden.
Der Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet bzw. es ist ihm unmöglich, bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit seine Arbeitsleistung zu erbringen. Bei krankheitsbedingter Arbeitsunfä-higkeit fehlt der Arbeitgeber damit „entschuldigt“. Die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit ist eine Ausnahme vom Grundsatz „kein Lohn ohne Arbeit“. Das Entgeltfortzahlungsgesetz gibt dem kranken Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für die Dauer von bis zu sechs Wochen (§ 3 EFZG). Umgekehrt ist der Arbeitnehmer verpflichtet, seine Arbeitsleistung zu erbringen, wenn er nicht krankheitsbedingt arbeitsunfähig ist. Nach Beendigung der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ist der Arbeitnehmer verpflichtet, sich unverzüglich beim Arbeitgeber zurückzumelden und seine Arbeitsleistung anzubieten. Dies kann auch dadurch erfolgen, dass der Arbeitnehmer schlicht seine Arbeit wieder aufnimmt.
Nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz hat der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtlichen Dauer spätestens nach 3-tägiger Krankheit dem Arbeitgeber vorzulegen. Hiervon kann arbeitsvertraglich abgewichen werden und bereits ab dem ersten Krankheitstag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom Arbeitnehmer verlangt werden. Nach § 5 Abs. 1 EFZG ist auf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch die voraussichtliche Dauer der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit mit anzugeben. Dabei handelt es sich um eine ärztliche Prognose. Die Arbeitsunfähigkeit kann tatsächlich kürzer oder länger dauern. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist ein Beweis des Arbeitnehmers, dass er krank und arbeitsunfähig ist. Ein krankgeschriebener Arbeitnehmer darf – auch ohne „Gesundschreibung“ – arbeiten. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung enthält kein Beschäftigungsverbot und ist eine Prognose zu Beginn der Krankheit. Entgegen der Prognose kann die Genesung des Arbeitnehmers aber auch schneller eintreten. Eine ärztliche Gesundschreibung ist möglich. Aus den arbeitsrechtlichen Vorschriften ergibt sich jedoch keine Pflicht zu einer solchen ärztlichen Gesundschreibung.
Den Arbeitgeber treffen jedoch Fürsorgepflichten. Hat der Arbeitgeber Kenntnis von der tatsächlich bestehenden Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers darf er weder unangemessene Arbeitsleistung abfordern noch wissentlich entgegennehmen. Vielmehr muss der Arbeitgeber gemäß einer älteren Entscheidung des LAG Hamm aus dem Jahr 1988 den Arbeitnehmer von der Arbeit abhalten. Gegebenenfalls könnte der Arbeitnehmer schriftlich gegenüber dem Arbeitgeber versichern, dass er arbeitsfähig ist. Der Arbeitgeber ist damit nicht berechtigt, Arbeitsleistung eines offensichtlich arbeitsunfähigen Arbeitnehmers anzunehmen. Der Arbeitgeber hat dabei nicht nur seine betrieblichen Interessen und die Interessen des kranken Arbeitnehmers, sondern auch die Interessen der anderen Arbeitnehmer (Ansteckungsgefahr etc.) zu berücksichtigen.
Für Arbeitnehmer besteht auch dann Versicherungsschutz, wenn die Arbeit trotz bestehender Krankschreibung wieder aufgenommen wird. Dies gilt sowohl für Wegeunfälle als auch für Unfälle an der Arbeitsstätte.
Verstößt der Arbeitgeber jedoch gegen seine Fürsorgepflicht, d.h. lässt er Arbeitnehmer trotz Kenntnis der Arbeitsunfähigkeit arbeiten und geschieht aus diesem Grund (z. B. Schwindel bei starkem Fieber) ein Unfall, kann sich die Haftungsquote von der Versicherung zu Lasten des Arbeitgebers verschieben.
Ich wünsche Ihnen viel Gesundheit und gesunde Arbeitnehmer.
Wenn Sie Fragen zu diesem Thema haben, kontaktieren Sie gerne Dr. Erik Schmid.
Hinweis: Dieser Blogbeitrag ist bereits im arbeitsrechtlichen Blog von Dr. Erik Schmid im HJR-Verlag erschienen.